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Mit Vorsicht zu genießen: Ozempic, Wegovy und Co.

12. Oktober 2023

DDr. André Farkouh

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Mit Vorsicht zu genießen: Ozempic, Wegovy und Co.

Seit bereits einigen Jahren erweitern langwirksame Inkretinmimetika die Palette der Antidiabetika für die Therapie des Typ 2 Diabetes mellitus. Bereits kurz nach Zulassung folgten erste Meldungen, dass diese Medikamente auch bei Nichtdiabetikern zu Gewichtsverlust führen. Seither ist auf Social Media ein regelrechter Hype rund um diese Produkte entstanden.

Die Meinungen zu dieser Diätform gehen freilich auseinander, auch unter Fachleuten. Während Befürworter es für die große Revolution in der individualisierten Adipositastherapie halten, sprechen Kritiker bereits von einer Essstörung in Form einer Spritze.

Es klingt ja wirklich zu schön, um wahr zu sein. Kein Sport, keine Ernährungsumstellung, kein Hungergefühl, lediglich ein kleiner Stich und schon nimmt man ab. Wird die Spritze also zum neuen Wundermittel im Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit?

Wie so oft in der Medizingeschichte wird wieder einmal eine Nebenwirkung zur Hauptwirkung. Dass Ozempic, Wegovy und Co. als Diätmittel genutzt werden, liegt nämlich genau daran: an den Nebenwirkungen.

Diese Produkte stimulieren die Sekretion von Insulin und supprimieren die Ausschüttung von Glucagon. Darüber hinaus verlangsamen Inkretinmimetika bzw. Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten die Magenentleerung und erhöhen dadurch das Sättigungsgefühl.

In den Zulassungsstudien klagten die Patientinnen und Patienten vor allem in den ersten Monaten der Behandlung über einen deutlich verminderten Appetit sowie Magen-Darm-Beschwerden in Form von Übelkeit und Erbrechen.

Als diese Nebenwirkungen auffielen, wurden zahlreiche Untersuchungen mit adipösen Menschen durchgeführt. Die Probanden verloren teilweise beträchtlich an Körpergewicht. Der Hype um das Medikament war somit geboren.

Grundsätzlich muss man festhalten, dass GLP-1-Rezeptoragonisten in den bisherigen Studien recht gut abgeschnitten haben, was die unerwünschten Wirkungen anbelangt.

Jedoch sind selbst unter sorgfältiger ärztlicher Betreuung bei einigen Patienten Beschwerden aufgetreten, die bei manchen Betroffenen zum Abbruch der Therapie führten. Beachten sollte man bei diesen Untersuchungen jedoch immer, dass es sich bei den Probanden um Menschen mit Erkrankungen gehandelt hat.

Doch um die Gesundheit geht es vielen Anwendern in erster Linie nicht, wenn sie diese Produkte applizieren. Oft nutzen es sogar Normalgewichtige, um weiter abzunehmen. Und genau das macht diesen Trend so gefährlich.

Es existieren keine Studien, wie diese Medikamente bei gesunden Normalgewichtigen wirken. Möglicherweise sind Wirkung und Nebenwirkungen verstärkt.

Bei Menschen, die an Anorexie oder Bulimie leiden, könnten diese Effekte noch verstärkt werden. Zugelassen ist die Arzneispezialität Wegovy im Übrigen seit April 2023 auch zur Gewichtsregulierung für Jugendliche ab 12 Jahren.

Nebenwirkungen von GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Es gibt durchaus ernstzunehmende Nebenwirkungen, die bei manchen Menschen nur vorübergehend auftreten, bei anderen aber während der gesamten Behandlungsdauer anhalten.

Gastrointestinale Störungen kommen erwartungsgemäß am häufigsten vor. Diese Nebenwirkungen reichen von Völlegefühl über Übelkeit, Durchfall und Bauchschmerzen bis Erbrechen. Diese Beschwerden werden mehrheitlich während der Aufdosierungsphase beobachtet und haben einen gewissen Gewöhnungseffekt.

Ernstzunehmend ist jedoch, dass aufgrund eines Volumenverlustes infolge von Erbrechen oder Durchfall unter GLP-1-Rezeptor-Agonisten einschließlich Semaglutid akute Nierenschädigungen beschrieben sind. Hier sind Menschen mit bestehenden Essstörungen und/oder eingeschränkter Nierenfunktion sicher ein vulnerableres Kollektiv.

Auch Gallenblasenerkrankungen, speziell Gallensteine, sind in der Literatur beschrieben. Diese Störungen könnten zum Teil durch die deutliche Gewichtsabnahme bedingt sein. Häufig berichten Anwender zudem von Kopfschmerzen, Schwindel und anhaltender Müdigkeit.

Vor allem in den therapeutischen Anfangsjahren wurde bei der Inkretin-basierten antidiabetischen Therapie immer wieder ein erhöhtes Risiko für eine akute Pankreatitis diskutiert. Ein kausaler Zusammenhang könnte plausibel sein, da in Tierversuchen Zellveränderungen in der Bauchspeicheldrüse beobachtet wurden. Die Ergebnisse sind jedoch nicht konsistent.

Zudem stellt die Erkrankung Diabetes mellitus selbst einen Risikofaktor für die Entwicklung einer akuten Pankreatitis dar. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass die EMA chronische Schädigungen des Pankreas bei GLP-1-Rezeptoragonisten zumindest für denkbar hält. Wie sich zudem diese Arzneimittel bei gesunden Menschen, vor allem bei einer längeren Anwendungsdauer und ohne ärztliche Kontrolle, auf das Drüsenorgan auswirkt ist derzeit nicht bekannt.

Depression und Suizidalität gehören immer wieder zu den Sicherheitsbedenken zentral wirkender Antiadiposita. Aktuell hat der Pharmakovigilanzausschuss der EMA eine Sicherheitsprüfung zu GLP-1-Rezeptoragonisten eingeleitet, einschließlich Semaglutid (Ozempic und Wegovy) und Liraglutid (Saxenda).

Anlass waren mehrere Verdachtsmeldungen von Selbstverletzungs- und Suizidgedanken, die die isländische Arzneimittelbehörde angezeigt hatte. Ein Ergebnis dieser Sicherheitsprüfung wird für November 2023 erwartet.

Die diabetische Retinopathie ist die häufigste Komplikation von Diabetes mellitus. Es finden sich Berichte, dass bestimmte GLP-1-Rezeptoragonisten unter Umständen eine diabetische Retinopathie verschlechtern könnten. Eine spezielle klinische Studie, die darauf ausgerichtet ist, Klarheit in Bezug auf dieses Problem zu schaffen, läuft derzeit. Mit ersten Ergebnissen können wir voraussichtlich erst 2024 rechnen.

Bereits seit Jahren wird das Auftreten von Schilddrüsenkarzinomen unter GLP-1-Rezeptoragonisten diskutiert. Bedenken hierfür basieren vorwiegend auf Karzinogenitätsstudien bei Kleinnagern. Bei Ratten werden beispielsweise durch einen nichtgenotoxischen, spezifisch durch den GLP-1-Rezeptor vermittelten Mechanismus C-Zelltumoren verursacht. Die Relevanz für den Menschen wird zwar als gering eingestuft, kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Derzeit rät die FDA von einer Applikation ab, wenn bei Patienten in der Familie Schilddrüsenkrebs aufgetreten ist.

Des Weiteren sollen neue Untersuchungen zeigen, ob diese Wirkstoffgruppe auch bei Demenz, Alkoholsucht und dem Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) helfen kann.

Interessant ist in Zusammenhang mit dem PCOS, dass in der aktuellen Fachinformation von Wegovy explizit darauf hingewiesen wird, Semaglutid während der Schwangerschaft nicht anzuwenden. Tierexperimentelle Studien haben offensichtlich eine Reproduktionstoxizität gezeigt. Zudem wird in diesem Dokument empfohlen, den Appetitzügler aufgrund seiner langen Halbwertszeit – verglichen mit nativem GLP-1 weist Semaglutid eine verlängerte Halbwertszeit von ungefähr einer Woche auf – zumindest zwei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen.

Jojo-Effekt

Der bekannte und gleichsam verhasste Jojo-Effekt ist eine häufige Folge von sogenannten Crash-Diäten. In einem Punkt sind sich zumindest alle Fachexperten einig: Alle GLP-1-Rezeptoragonisten wirken zur Gewichtsreduktion nur solange, wie man sie tatsächlich anwendet. Zudem haben Nachbeobachtungen bestätigt, dass Menschen, die das Medikament abgesetzt haben, wieder an Gewicht zunahmen.

Fazit

Diese Pharmaka sind somit definitiv keine neuen Wunderwaffen. Es ändert nichts an genetischen Faktoren oder einem ungesunden Lebensstil. Zudem fehlen bislang belastbare Langzeitdaten, vor allem in Hinblick darauf, dass diese Medikamente unter Umständen lebenslang (auch im Off-Label-Use!) verabreicht werden müssen.

Noch eine Anmerkung zum Schluss: In amerikanischen Medien mehren sich derzeit Meldungen in denen Anwender und auch Anwenderinnen über neu auftretende Alopezie berichten. Sollte sich ein erstzunehmender kausaler Zusammenhang etablieren, der im Übrigen auch schon in klinischen Studien erörtert wurde, so wird diese Hypothese definitiv die gefürchtetste Nebenwirkung in der Life & Style Society darstellen.

Literatur

  1. Ozempic, European public assessment report (EPAR), https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/ozempic
  2. Wegovy, European public assessment report (EPAR), https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/wegovy
  3. Ghusn W et al. JAMA Netw Open. 2022;5(9): e2231982.
  4. Novo Nordisk: US-amerikanische Produktinformation WEGOVY, Stand Juli 2023; https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/215256s007lbl.pdf
  5. EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) WEGOVY, Stand Juni 2023 https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/wegovy-epar-product-information_de.pdf
  6. Monami et al. Diabetes Obes. Metab. 2017; 19: 1233-41.
  7. Elashoff M. et al. Gastroenterology. 2011 Jul; 141(1): 150-6.
  8. Novo Nordisk: US-amerikanische Produktinformation SAXENDA, Stand April 2023; https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/206321s016lbl.pdf
  9. EMA: Presseerklärung vom 11. Juli 2023; https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-statement-ongoing-review-glp-1-receptor-agonists
  10. Marso SP et al. N Engl J Med. 2016 Nov 10; 375(19): 1834-1844.
  11. Bezin J et al. Diabetes Care. 2023; 46(2): 384-390.
  12. Thompson C et al. Diabetes Care 2023 Feb.1; 46(2): 249-251.
  13. gov: NCT03811561
  14. Semaglutid vs. Metformin beim polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS), Klinische Studie NCT05646199, https://ichgcp.net/de/clinical-trials-registry/NCT05646199
  15. Ozempic and Other Weight Loss Drugs May Cause Hair Loss in Some People, Experts Say, https://people.com/health/ozempic-and-other-weight-loss-drugs-hair-loss/
  16. Wegovy Prescribing Information, https://www.novo-pi.com/wegovy.pdf
  17. Risk of Gastrointestinal Adverse Events Associated With Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Weight, https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2810542

 

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